2025-01-30

Einfluss des Materials und seiner Eigenschaften auf den Blechbiegeprozess


Einfluss des Materials und seiner Eigenschaften auf den Blechbiegeprozess

Der Blechbiegeprozess mit Abkantpressen ist einer der Schlüsselschritte in der modernen Blechbearbeitung. Obwohl die Technologie an sich einfach erscheint, erfordert sie in der Praxis ein tiefes Verständnis der Materialeigenschaften und der Mechanik der plastischen Umformung. Dieser Artikel konzentriert sich auf eine detaillierte Analyse des Einflusses der Materialeigenschaften auf den Biegeprozess, mit besonderem Augenmerk auf das Rückfederungsverhalten, die Anisotropie der mechanischen Eigenschaften und den Einfluss der Mikrostruktur.

Mechanische Eigenschaften von Materialien und ihr Einfluss auf den Biegeprozess


Streckgrenze und ihre Bedeutung

Die Streckgrenze (Re) ist einer der wichtigsten Parameter, die das Verhalten des Blechs während des Biegens bestimmen. Sie definiert den Punkt, an dem das Material beginnt, sich plastisch zu verformen, d.h. seine Form dauerhaft zu ändern. Für den Biegeprozess sind folgende Aspekte von entscheidender Bedeutung:

Beispielsweise erfordert der Stahl S235JR mit einer Streckgrenze von 235 MPa deutlich geringere Biegekräfte als der Stahl S700MC mit einer Streckgrenze von 700 MPa, bei gleicher Materialdicke.

Elastizitätsmodul und sein Einfluss auf die Rückfederung

Der Elastizitätsmodul (E), der ein Maß für die Steifigkeit des Materials ist, beeinflusst direkt das Ausmaß der Rückfederung. Materialien mit einem höheren Elastizitätsmodul weisen eine geringere Rückfederung auf, was die Vorhersagbarkeit des Biegeprozesses verbessert.

Ein Vergleich verschiedener Materialien:

zeigt deutlich, dass Aluminium bei gleichen Biegeparametern eine deutlich größere Rückfederung als Stahl aufweist, was eine entsprechende Anpassung des Biegewinkels erfordert.

Rückfederungsverhalten (Springback)


Entstehungsmechanismus

Die Rückfederung ist eines der wichtigsten Phänomene, die beim Biegen von Blechen berücksichtigt werden müssen. Sie entsteht aufgrund von:

  1. Ungleichmäßiger Spannungsverteilung im Querschnitt des gebogenen Blechs
  2. Unterschied zwischen elastischer und plastischer Verformung

Beim Biegen des Blechs werden die Materialschichten auf der Außenseite der Biegung gedehnt, während die Schichten auf der Innenseite gestaucht werden. Dazwischen befindet sich die sogenannte neutrale Faser, die ihre Länge nicht ändert. Nach dem Entlasten wird ein Teil der elastischen Verformung rückgängig gemacht, was zu einer teilweisen Entspannung des Materials und einer Änderung des Biegewinkels führt.

Materialbedingte Einflussfaktoren auf die Rückfederung

Die Rückfederung hängt von mehreren Schlüsseleigenschaften des Materials ab:

Methoden zur quantitativen Bewertung der Rückfederung

Zur Bestimmung des Rückfederungsverhaltens werden verschiedene mathematische Modelle verwendet, darunter:

  1. Gardner-Modell:

    K = r/t * (Re/E) * (π/2 - α)

    wobei:

    • K - Rückfederungskoeffizient
    • r - Biegeradius
    • t - Blechdicke
    • Re - Streckgrenze
    • E - Elastizitätsmodul
    • α - Biegewinkel
  2. Bozdemir-Göloğlu-Modell:

    K = C * (Re/E) * (r/t)^n

    wobei C und n materialspezifische empirische Konstanten sind

Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass die Rückfederung bei hochfesten Stählen (z.B. DP800) bis zu 300 % größer sein kann als bei niedriglegierten Stählen (z.B. DC01) bei gleichen Biegeparametern.

Anisotropie der mechanischen Eigenschaften


Einfluss der Walzrichtung

Metallbleche weisen aufgrund ihres Herstellungsprozesses eine Anisotropie der mechanischen Eigenschaften auf. Die Walzrichtung hat einen signifikanten Einfluss auf:

Beispielsweise weist der Stahl DC04, der für das Tiefziehen bestimmt ist, einen r-Wert von > 1,6 auf, was eine gute Widerstandsfähigkeit gegen Dickenabnahme während der Umformung bedeutet, aber gleichzeitig zu ungleichmäßiger Rückfederung beim Biegen in verschiedenen Richtungen relativ zur Walzrichtung führen kann.

Einfluss der Materialdicke


Abhängigkeit des Biegeradius von der Dicke

Der minimale Biegeradius (rmin) steht in direktem Zusammenhang mit der Materialdicke (t) und seinen mechanischen Eigenschaften. Die allgemeine Beziehung wird oft durch die Formel ausgedrückt:

rmin = K * t

wobei K ein materialspezifischer Koeffizient ist:

Einfluss der Wärmebehandlung und des Materialzustands

Der Wärmebehandlungszustand des Materials hat einen erheblichen Einfluss auf den Biegeprozess:

Spezifische Eigenschaften verschiedener Materialien


Hochfeste Stähle

Hochfeste Stähle (HSS) und fortgeschrittene hochfeste Stähle (AHSS) zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:

Beispielsweise zeigt der Stahl DP600 (Dual-Phase) mit einer Streckgrenze von etwa 400 MPa eine um etwa 30-40 % größere Rückfederung als der Stahl DC04 mit einer Streckgrenze von etwa 170 MPa.

Aluminiumlegierungen

Aluminiumlegierungen weisen aufgrund des niedrigeren Elastizitätsmoduls folgende Eigenschaften auf:

Ein Vergleich verschiedener Aluminiumlegierungen zeigt, dass die Serie 5xxx (z.B. 5083) eine gute Biegefähigkeit aufweist, während Legierungen der Serie 7xxx (z.B. 7075) eine präzise Anpassung der Biegeparameter erfordern.

Methoden zur Kompensation des Einflusses der Materialeigenschaften


Anpassung der Biegeparameter

Um den Einfluss der Materialeigenschaften auf den Biegeprozess zu kompensieren, werden folgende Maßnahmen ergriffen:

  1. Anpassung des Biegewinkels - Überbiegen des Materials um den vorhergesagten Rückfederungswert
  2. Anpassung des Biegeradius - Verringerung des Radius für Materialien mit größerer Rückfederung
  3. Mehrstufiges Biegen - schrittweises Formen des Materials in mehreren Schritten

Unterstützende Techniken

Für schwer biegbare Materialien werden folgende Techniken eingesetzt:

  1. Biegen mit Andruck - Erhöhung des Drucks auf das Material, um plastische Verformung zu erzwingen
  2. Biegen mit Stützrollen - Verringerung der lokalen Spannungen im Biegebereich
  3. Biegen mit gleichzeitigem Strecken - Induktion zusätzlicher Spannungen, die das plastische Fließen des Materials unterstützen

Einfluss der Prozessparameter auf die Biegequalität


Druckkraft und Materialeigenschaften

Die für das Biegen erforderliche Druckkraft steht in direktem Zusammenhang mit den Materialeigenschaften:

F = k * Re * b * t²/W

wobei:

Materialien mit einer höheren Streckgrenze erfordern proportional größere Druckkräfte, was höhere Anforderungen an die Parameter der Abkantpresse stellt.

Biegegeschwindigkeit und Materialverhalten

Die Geschwindigkeit des Biegeprozesses kann das Materialverhalten beeinflussen:

Moderne Methoden zur Untersuchung der Materialeigenschaften für Biegeprozesse


Materialtests

Der moderne Ansatz für Blechbiegeprozesse berücksichtigt fortschrittliche Methoden zur Untersuchung der Materialeigenschaften:

Numerische und simulationsbasierte Methoden

Die Entwicklung numerischer Methoden ermöglicht eine genauere Vorhersage des Materialverhaltens beim Biegen:

Herausforderungen und Trends in der Biegetechnologie im Zusammenhang mit neuen Materialien


Ultrahochfeste Materialien

Die zunehmende Verwendung von ultrahochfesten Stählen (UHSS) stellt neue Herausforderungen dar:

Mehrschichtige und Verbundwerkstoffe

Die zunehmende Verwendung von mehrschichtigen und Verbundwerkstoffen erfordert:

Zusammenfassung

Die Materialeigenschaften spielen eine Schlüsselrolle beim Biegen von Blechen an Abkantpressen. Das Verständnis des Einflusses dieser Eigenschaften ermöglicht die Optimierung der Prozessparameter und die Herstellung hochwertiger Produkte. Die wichtigsten materialbedingten Einflussfaktoren auf den Biegeprozess sind:

  1. Wert der Streckgrenze und ihre Beziehung zum Elastizitätsmodul
  2. Anisotropie der mechanischen Eigenschaften aufgrund des Herstellungsprozesses
  3. Materialdicke und ihr Einfluss auf den minimalen Biegeradius
  4. Wärmebehandlungszustand und sein Einfluss auf die Plastizität des Materials
  5. Prozesstemperatur und ihr Einfluss auf die rheologischen Eigenschaften des Materials

Der moderne Ansatz für das Biegen von Blechen berücksichtigt fortschrittliche Untersuchungs- und Simulationsmethoden, die eine genauere Vorhersage des Materialverhaltens und die Optimierung der Prozessparameter ermöglichen. Mit der Entwicklung neuer Materialien mit spezifischen Eigenschaften werden die Biegetechniken weiterentwickelt, um den steigenden Qualitäts- und Effizienzanforderungen in der Industrie gerecht zu werden.

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